Ein folgenschwerer Ausflug

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Anita und ihr Bruder waren sehr aufgeregt. Zum einen hatten sie ihren Lehrer Naveen sowie zwei Fremde im Schlepptau und zum anderen leben sie die meiste Zeit in Barkot bei Verwandten weil sie hier die Schule besuchen und freuten sich auf ihre Eltern.

Wie überall wurden wir herzlich empfangen und erstmal mit Essen und Tee versorgt. Das “Restaurant” erwies sich als ein Essensstand an der Straße mit ein paar Holzbänken und wackeligen Plastikstühlen (leider kein Bild – aber eben nur ein Holzverschlag mit Plastikplanen). Gäste werden immer bedient und essen unter sich – erst danach essen die Gastgeber und dann auch an einem anderen Platz.

Anita war ganz zappelig und konnte es fast nicht abwarten uns ihr Zuhause und die Umgebung zu zeigen. Ich war froh drum meine Flip Flops mit meinen Teva-Sandalen getauscht zu haben – denn wir durchstreiften Felder, erkundeten den Jungle, stiegen zur Wasserquelle hinunter (die jeden Tag mehrmals besucht werden muss um die Familie mit Wasser zu versorgen) und kamen schließlich bei Ihrem Haus an. Schön eingezäunt um sich vor wilden Tieren zu schützen (ob es nun tatsächlich Bären und Tiger sind, hab ich nicht ganz rausgekriegt). Jedoch machte mir das “Haus” an diesem schönen Sommertag dann doch mehr Bauchschmerzen.

Ich war etwas geschockt – wir sollten also die Nacht hier verbringen?

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Vorm Abendessen fuhren wir dann noch los um einen Tempel, einige Onkels, Tanten, Großeltern zu besuchen und als wir zurückkamen war es stockfinster. Im “Restaurant” war die einzige Lichtquelle das Feuer im Ofen und eine kleine Kerze. Anitas Mutter bekochte uns wieder und nachdem wir im fast Dunkeln gegessen hatten setzten sich die Eltern auf den Boden vor den Kamin und aßen auch. Wir haben später gesungen und es wurde ein lustiger Abend. Alle zusammen haben wir die Habseligkeiten, die am Stand hingen zusammengepackt und uns mit Handy und Taschenlampen durch den Wald auf den Weg zum Haus gemacht.201607012016480020160701201654002016070120171200

Das stille Örtchen ist “überall” in der Natur – und Anita war so lieb uns zu einem Platz ohne Brennnesseln zu führen.
Im “Haus” sieht es ein bisschen besser aus, als man es von außen erahnen würde. Der Boden ist aus dem selben Material wie um die Öfen herum – fest wie Beton. Die Raumaufteilung war schnell erledigt. Eltern, zwei Onkel, der Bruder und Naveen im vorderen Teil – Anita, Chia und ich im hinteren. Dort ist ein Bett – sozusagen unter dem Dach eingebaut (im Haus aufrecht stehen ging nicht). Das Bett war schätzungsweise 1.20 meter breit und man kann nur vom Kopfende aus reinkrabbeln.
Chia und ich hätten uns die Überlegungen sparen können – was wir denn für unseren Trip alles einpacken (Schlafanzug, Duschgel, Zahnbürste etc), denn alle haben sich so wie sie waren – komplett angezogen – einfach hingelegt.

Wir drei hatten alle genügend Platz – wenn man davon ausgeht, daß jeder die komplette Nacht mit über der Brust verschränkten Armen und auf dem Rücken liegend gut durchschlafen kann. Ich hab kaum geschlafen, es war stockfinster, Gewitter, Krabbel- und Raschelgeräusche an allen Ecken und Enden und es wurde bald so warm, dass ich echt froh war, dass ich nicht wie die arme Chia in der Mitte lag.

Ab drei hätte ich echt mal dringend “wohin” gemusst! Aber ich hätte wohl eher einen Blasenkrampf riskiert als mich aus dem Bett zu quälen, über die ganzen Leute drüber zu stolpern und dann draußen von wilden Bären, Tigern oder (sobald man Licht machte) Schwärmen von irgendwelchen Insekten aufgefressen zu werden.
Um 5 Uhr früh kam die Erlösung – es wurde endlich hell – und ich hab es geschafft mich in Zeitlupe zu bewegen, aus dem Bett zu winden und ohne umzufallen über Arme, Beine und Köpfe zu balancieren.

Endlich frische Luft – schnell ein brennnesselfreies Plätzchen gesucht und erstmal eine “Entspannungs-Zigarette”.
Nach einer Weile hab ich gemerkt, daß mich in der Nacht oder am Abend wohl ein paar Moskitos oder ähnliches an den Füßen gestochen haben – aber ist ja kein Problem – Anti-Juck-Salbe war in meinem Ausflugsgepäck.
Tee trinken, Frühstücken und zurück in die Zivilisation 😉

Dann hab ich das erstmal im Computer Center unterrichtet – davon aber später mehr.
Irgendwie ist hier immer irgendwas los – und ich kam auch am zweiten Tag nicht zum Ausruhen. Abendessen gibt es vorm Schlafengehen – also so etwa um 21:15. Daran werde ich mich wohl nicht gewöhnen, bin dann schon zu müde um hungrig zu sein.

Das meine Füße angeschwollen waren hab ich darauf geschoben, daß ich den ganzen Tag auf den Beinen war.
Jedoch sah die Sache dann am nächsten Morgen noch etwas “unnatürlicher” aus. Meine Füße wurden immer dicker, die Stiche (ca 20) haben sich verfährt und es haben sich Blasen gebildet (Ich hab keinen der Stiche aufgekratzt, obwohl sie entsetzlich gejuckt haben – ich weiß wie gefährlich das hier sein kann).

Also bin ich mit Naveen gleich mal zum Arzt gegangen. Im “Warte-Behandlungszimmer” (von der Straße gut einsehbar) saßen, standen, lagen etwa 15 Leute. Hinter einem großen vollgepackten Schreibtisch saß ein älterer Arzt, der gerade eine Thorax-Röntgenaufnahme (!) gegen’s Licht hielt und sich mit dem neben ihm sitzenden “oberkörperfreien” Patienten unterhielt. Die verrostete Maschine im Nebenzimmer schien also noch zu funktionieren.

Wie überall zog ich gleich alle Blicke auf mich und der Arzt bat mich – hinter seinem Schreibtisch zu seiner “Rechten” Platz zu nehmen. Der offensichtlich Kranke, von Frau und Kindern umringt, wurde sprichwörtlich links “sitzen” gelassen.
Ich gestikulierte, daß ich warten könne – aber der Arzt war schon dabei mir – in gebrochendem Englisch – seine Familiengeschichte zu erzählen. Er ist in der dritten Generation Arzt, auch sein Sohn studiert…… und meine Füße juckten!!!!! Er warf später einen kurzen Blick auf meine Füße und ich sah wie ein Assistent anfing Tabletten aus der Verpackung zu nehmen, sie auf dem Schreibtisch in der Mitte durchzubrechen und alles, inklusive der Kleinst-Teile und des entstanden Staub von der Schreibtischkante mit der Hand in ein Papiertütchen zu “schaufeln”. Nur keine Verschwendung! OH JE! – Aber! … das war gar nicht für mich. hihi
Ich hab schön verpackte Medis bekommen, hab die Einladung zum Tee mit der Entschluldigung, dass meine Schüler warten, abgelehnt. Bezahlen mußte ich weder für die “Behandlung” noch für die Medikamente. Im Gegensatz zu den anderen.

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Trotz der Tabletten wurde meine Füße einfach immer dicker, total heiß und ich habe mir echt Sorgen gemacht. Ich bin hier 5 – 6 Stunden von der nächsten großen Stadt entfernt. Aber jeder meinte ich müsse doch erstmal warten – so schnell würde die Medizin nicht wirken. Die Herbergsmutter hat es mit heißem Salzwasser, eine Lehrerin mit geschmolzener Butter versucht – aber es wurde immer schlimmer.

Am nächsten Tag bin ich dann hier in ein kleines Krankenhaus zu einem anderen Arzt gegangen. Der war zurückhaltender, sprach kaum und nach einem kurzen Blick auf meine Füße fing er ein Rezept zu schreiben.
Für die Untersuchung habe ich etwa 15 Cent bezahlt, für die neuen (5) anderen Medikamente 10 Dollar.
Das mein Magen da mitgemacht hat wundert mich wirklich.
Nachdem sich meine Füße auch noch lila verfärbten – hab ich mich entschieden Barkot am nächsten Morgen zu verlassen und nach Dehradun zurück zu fahren.
Aber dann wohin? Gibt es dort ein internationales Krankenhaus? Hab ich schon zu lange gewartet? Sollte ich gleich los? Die Strecke in der Nacht fahren?

Auch Chia war besorgt! Sie ist Lehrerin und ist Mitglied bei ISOS. Die helfen bei Notfällen auf der ganzen Welt.
Sie hat sich einfach ihr Hongkonger Handy (Roaming!!) geschnappt und dort angerufen und nach dem nächsten Internationalen Krankenhaus gefragt. Sie hat bestimmt 30 min mit dieser Notfall Hotline gesprochen. Nicht abdecken, hochlegen, sie hat alle Namen der Medikamente die ich bekommen habe durchgegeben und der Arzt am anderen Ende hat alles gecheckt. Er meinte, dass der behandelnde Arzt anscheinend nicht sicher war was diese Reaktion ausgelöst hat und mir einfach für alle möglichen Diagnosen etwas verschrieben hat.

Sie hat auch mehrere Nachrichten an Freunde geschickt, die die Nachricht anscheinend ruck zuck auch an Freunde weitergeleitet haben und nach wirklich kurzer Zeit hatte ich Adressen von zuverlässigen Ärzten und sogar Telefonnummern von Leuten, die mir in Dehradun helfen würden.
Ich kann gar nicht sagen wie froh ich war – so eine tolle Mitbewohnerin zu haben.

Am nächsten Morgen waren meine Füße deutlich abgeschwollen! 🙂 Puuhhh! Die Medikamente zeigten Wirkung.
Inzwischen sind nur noch die Stiche zu sehen und die behandle ich zweimal täglich mit einer antibiotischen Salbe.

Ich bin so erleichtert – denn ich hatte echt Angst.

Das kleine Krankenhaus ist – was ich gesehen habe – vom westlichen Standard meilenweit entfernt und ich hoffe, dass ich nicht nochmal darauf angewiesen sein werde und das ich nie nie erfahre wie hier eine Zahnarztpraxis aussieht 😉