Zucht und Ordnung?

2016071716175200Ich brauche kein Lehrer zu sein und Pädagogik studiert haben um zu merken, dass hier etwas ganz schrecklich schief läuft. Aber ich möchte vorweg sagen, dass man den Lehrern wahrscheinlich nicht mal einen großen Vorwurf machen kann. Sie haben es nicht anders gelernt und geben vermutlich die Erfahrungen aus ihrer eigenen Schulzeit weiter.

Es zerreißt mir das Herz wenn ich sehe wie Kinder geohrfeigt, mit einem Stock auf Arme und Rücken geschlagen werden oder ihre Hände ausstrecken müssen und dann abwechselnd Stockhiebe in die Handflächen bekommen.
Wenn die Lehrer merken, dass ich sie “beobachtet” habe – lächeln sie mich an. Ich blicke traurig zurück und schüttle leicht meinen Kopf.

Entgegen meinem Plan (meines Plans?) habe ich die “Strafen” noch nicht angesprochen. Ich habe sehr mit mir gehadert. Aber ich kann in dieser kurzen Zeit hier nachhaltig nichts verändern. Das einzige was ich tun kann ist – es selber anders zu machen.
Denn auch ich habe inzwischen Schüler, die sich nicht gerade mustergültig verhalten. Die aufmerksamen Kinder haben mich in verschiedenen Klassen gefragt: “Mum? Where is your stick?” und ich antworte: “No stick! Never! I don’t need a stick!”.

Ich versetze die Störenfriede (komisches Wort! müsste das nicht eigentlich Friedenstörer heißen??) an einen anderen Tisch oder winke sie mit strengem Gesicht zu mir nach vorne – lasse sie sich neben mich stellen so das sie mit der Nasenspitze fast die Wand berühren. Schlimme Fälle stelle ich auch schon mal an die Tür – also eher an den Vorhang, denn eine Tür gibt es nicht – natürlich mit dem Blick nach draußen.

Irgendwann gucken sie mich dann mit ihren schönen Augen reumütig an und sagen: “Ma’m – please!”. Mit einer kurzen Kopfbewegung und einem – meist vergeblichen – Versuch nicht zu grinsen schicke ich sie zurück auf ihre Plätze.
Mein Unterricht wird nicht selten von anderen Lehrern beobachtet. Entweder durch das Drahtgitter von außen oder sie stellen/setzen sich in den Raum.

Die Klassenzimmer sind nur durch Blechwände voneinander getrennt, die aber nicht bis zur Decke gehen. Also ist es immer schrecklich laut. Nachdem was ich gesehen habe gibt es hier nur reinen Frontal-Unterricht.
Manche Kinder sitzen in solch einem Winkel zur Tafel, dass sie überhaupt nichts lesen können und die hinteren können wahrscheinlich nichts hören.
Die Kinder waren so dermaßen überrascht, als ich jemanden darum bat etwas an die Tafel zu malen. Das Kind mit dem Stift in der Hand blieb erstmal verwundert am Platz stehen und blickte ratlos in die Runde, bis diese zustimmend nickten. Sie werden sonst ja auch in keinster Weise in den Unterricht eingebunden. So kann lernen keinen Spaß machen.

Wenn die Eltern zusätzlich zu den Schulgebühren, nicht auch noch Geld für Nachhilfeunterricht aufbringen können, bleiben die Kinder auf der Strecke.
Hier kommt man mit – oder nicht. Und wenn die Tests so kontrolliert werden wie die Hausaufgaben – ist es auch kein Wunder, dass sie versetzt werden.

Ich habe hier noch keinen Zehntklässler erlebt, der einen eigenen vollständigen Satz auf Englisch gebildet hat. Sie interessieren sich überraschender Weise für das zweigeteilte Deutschland, den Mauerfall und auf Bitte der Schüler werde ich nächste Woche über das “Dritte Reich” erzählen (Boah ey ; ) bin ich froh, dass ich Internet Verbindung hab – ist für mich so aus dem Stegreif nicht einfach).

In der 5. lernen sie gerade ein Gedicht – ich habe durch nachfragen sehr schnell gemerkt, dass sie keinen blassen Schimmer davon haben was sie da lesen! Wir haben das Gedicht dann zusammen an die Tafel gemalt:

Hundreds of stars in the pretty sky, Hundreds of shells on the shore together, Hundreds of birds go singing by, Hundreds …

Ich mußte sie wirklich zurückhalten nicht wirklich Hundert von jedem zu malen – denn jeder wollte immer wieder an die Tafel 😉

Wir hatten soviel Spaß und am Ende der Stunde konnten alle das halbe Gedicht schon mithilfe der außerordendlich kreativen Zeichnung aufsagen und verstehen.

2016071716145000Mit den Kleinen mache Wortspiele oder lasse bei Rätseln Girls gegen Boys antreten – wobei es meist (mit Augen zudrücken) unentschieden ausgeht. Jetzt lernen wir gerade das “Finger-Lied”. Ein großes Problem ist nur, dass sie so laut singen, rufen, kreischen, lachen – dass wir die anderen Klassen stören.

Alles in allem sind die Kinder zum Knuddeln! Sie sind wissbegierig, leicht zu begeistern und sehr motiviert und es gibt auch sehr sehr schlaue Köpfe unter ihnen.

 

Dieses morgentliche Ritual finde ich sehr berührend. Klasse für Klasse aufgereiht und rechts der Upper- und Lower Kindergarden 😉

P.S.: der Strom hat sich mitten in der Nacht mit einem Freudentanz zurückgemeldet – ich hatte vergessen den Lichtschalter umzulegen und den Ventilator abzustellen 🙁